Benefizkonzert zugunsten des Oberurseler Opferdenkmals

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
Er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
Dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
(Paul Celan: „Todesfuge“)

„Den Opfern ein Gesicht geben, ihre Namen nennen und sie aus der Anonymität holen …“ ist das Anliegen, dass die Arbeitsgemeinschaft „Nie wieder 1933“ in Oberursel bewegte, die Einrichtung eines Denkmals an die Oberurseler Opfer zu initiieren.

Aus einem Ideenwettbewerb ging der Entwurf der damaligen Schülerin Juliane Nikolai als Sieger hervor. Die künstlerische Umsetzung wird von der Steinbildhauermeisterin Christine Jasmin Niederndorfer vorgenommen.
Wenn das Denkmal fertig sein wird, wird es zwei Figurengruppen (die Mehrheitsgesellschaft und die Verfolgten) zeigen, die durch eine durchsichtige Scheibe getrennt sind. Auf der Scheibe sollen die Namen aller verfolgten und ermordeten jüdischen Bürger Oberursels aufgeführt werden.

Einige Figuren stehen bereits vor der Hospitalkirche in der Oberurseler Altstadt. Die Finanzierung erfolgt jedoch allein durch Spenden und ist ein langwieriger Prozess – trotz der Unterstützung der Stadt, Sponsoren und des Oberbürgermeisters Georg Brum, der auch für das Benefizkonzert in der St.-Ursula-Kirche die Schirmherrschaft übernommen hat.

Seit zehn Jahren ist der 27. Januar – der Tag der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz durch Truppen der Roten Armee – der internationale Gedenktag an die Opfer des nationalsozialistischen Rassen- und Größenwahns.

Auch in diesem Kontext verstand sich das Konzert des Oberurseler Vokalensembles „enCHORe“ unter der Leitung von Martin Winkler und des Stierstädter Vokalensembles „Cantauris“ unter der Leitung von Ekkehard Scheutzow.

Die Sängerinnen und Sänger spannten einen Bogen von Brahms („Abendständchen“) über Rihards Dubra, Heinrich Schütz, J. G. Rheinberger, David Hamilton, Bob Chilcott und Dante Andreo, um das Konzert mit der „Nachtwache“ von Johannes Brahms zu beschließen.

Ich denke, der Begriff, der das Konzert am besten kennzeichnet, ist „rund“. Trotz der Zusammenstellung von Stücken unterschiedlicher kultureller und zeitlicher Herkunft war es ein sehr harmonisches Konzert. Die Leistung der Sängerinnen und Sänger – die teilweise auch solistisch, lediglich begleitet von Cello und Orgel sangen – war außerordentlich, wenn man bedenkt, dass die Temperatur in der Kirche nur geringfügig über der Außentemperatur lag, was der menschlichen Stimme in der Regel nicht gut bekommt.

Das einzige, was mich irritiert hatte, war die stark christliche Ausrichtung eines Konzerts, das den ermordeten jüdischen Menschen zugedacht war (ihre Namen wurden während des Konzerts verlesen). Auch für die (mehrheitlich islamischen) Opfer der rechtsradikalen Anschläge wurde seitens der PolitikerInnen in einem christlichen Trauergottesdienst gedacht. Ich würde mir an dieser Stelle mehr Offenheit und Ökumene wünschen.

Im Ganzen war es aber ein dem Anlass entsprechend würdiges und hörenswertes – und auch gut besuchtes – Konzert. Ich wünsche der Initiative Opferdenkmal e.V., dass es sie der Vollendung des Denkmals ein gutes Stück näher bringt.

Quelle:
http://www.opferdenkmal-oberursel.org

Neujahrskonzert der "Philharmonie der Nationen"

“Let’s make music as friends“
(Leonard Bernstein)

Im Jahre 1995 gründete der Dirigent Justus Frantz die „Philharmonie der Nationen“, ein junges Orchester mit Musikern aller Nationalitäten – auch solcher, die als Staaten miteinander verfeindet sind.

Seitdem haben die MusikerInnen mehr als 1.000 Konzerte auf der ganzen Welt gegeben.

Obwohl das Jahr nun schon einige Tage alt ist, war es nicht zu spät für das Neujahrskonzert im Großen Saal der Alten Oper in Frankfurt a. M.

Auf dem Programm standen die Sinfonie in D-Dur, Köchel-Verzeichnis Nummer 385 („Haffner Sinfonie“) von Wolfgang Amadeus Mozart, das Konzert für Klavier und Orchester in A-Moll, Opus Nr. 16 von Edvard Grieg und die Sinfonie C-Dur, Köchel-Verzeichnis Nr. 551 („Jupiter Sinfonie“), ebenfalls von Wolfgang Amadeus Mozart.

Sicher sind das Ohrwürmer der klassischen Musik, aber das minderte weder die Begeisterung des Orchesters und des Dirigenten noch die des Publikums. Von Mozarts Werken ging eine Verspieltheit und Lebensfreude aus, die sich auf den Saal übertrug.

Für Griegs Klavierkonzert wurde der Pianist Christopher Park als Solist verpflichtet.

Mit seinen knapp fünfundzwanzig Jahren (und ehrlich: fünfzehn hätte ich auch geglaubt) hat er schon unglaubliche Erfolge und einige renommierte Preise vorzuweisen. Und obwohl ich das Klavierkonzert schon so oft gehört habe, hatte ich den Eindruck, ich würde es zum ersten Mal „wirklich“ hören – es wirkte als wenn Klavier und Orchester miteinander kommunizieren, sich gleichsam die Bälle zuwerfen würden.

Das wohl bekannteste Stück von Edvard Grieg dürfte die „Peer-Gynt-Suite“ sein (die „Morgenstimmung“ fand Verwendung als Unterlegmusik zu einem Margarine-Werbespot). Griegs Spezialität ist das Einfangen der Stimmungen der Natur in der Musik.

Griegs Wagner-Nähe ist – obwohl er Wagner noch gar nicht kannte als er dieses Klavierkonzert schrieb – doch deutlich spürbar. Die musikalischen Ideen sind ähnlich.

Das Orchester spielte als Zugabe das Menuett aus der Es-Dur-Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Zugabe des Pianisten konnte ich leider nicht zuordnen, sie war jedoch von der gleichen Virtuosität wie seine Grieg-Interpretation.

An dieser Stelle muss ich Justus Frantz wirklich Abbitte leisten.
Ich hatte vor einigen Jahren auf 3SAT eine Übertragung eines Konzertes gesehen, dass das Radiosinfonieorchester des saarländischen Rundfunks unter seiner Leitung gab. Unter den aufgeführten Werken war auch die Sinfonie Nr. 9 in E-Moll von Antonin Dvorak. Beim Zuhören erging es mir damals so wie am Steuer meines Autos, wenn ich hinter einem Smart herzockeln muss und nicht überholen kann: ich hatte ständig das Gefühl, den Dirigenten und das Orchester antreiben zu müssen. Kurz: die Interpretation war mir viel zu beschaulich und betulich.

Von Beschaulichkeit oder Betulichkeit war in diesem Neujahrskonzert nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Orchester, Solist und Dirigent bildeten eine furiose Einheit – ein Konzert wie ein Feuerwerk, nur entschieden wohlklingender.

Und an dieser Stelle danke ich meiner Schwester für dieses wunderschöne Weihnachtsgeschenk!

Quelle:
Das offizielle Programmheft zum Konzert.

Edward Kienholz – Die Zeichen der Zeit

„Und wer sich seelisch reinigen will, der gehe in die nächste Sauna, statt in die Kirche nebenan! Denn in der Unschuld haben sich stets die dreckigsten Hände gewaschen.“
(Walter Mehring: „Gebrauchsanweisung“ in „Großes Katzenbrevier“, 1974)

Der amerikanische Installationskünstler Edward Kienholz wurde am 23. Oktober 1927 in Fairfield/Washington geboren.

Er wuchs auf einer Farm auf und hatte nach seinem Studium zunächst einige Jobs (darunter Nachtwächter in einer psychatrischen Klinik, Manager einer Band, Gebrauchtwagenverkäufer und Staubsaugervertreter).

In den 60er Jahren schließlich fand er zur Kunst. Ab 1972 arbeitete er gemeinsam mit seiner Frau, Nancy Kienholz Redding.

Die Frankfurter Kunsthalle „Schirn“ widmet diesem Künstler (oder vielmehr: diesen Künstlern, denn Nancy steht gleichberechtigt neben ihrem Mann), der im Ausland eine größere Beachtung als in den USA fand, eine Ausstellung.

Wahrscheinlich liegt es an Kienholz‘ unkonventionellem Werdegang, dass er sehr bodenständig und direkt ist. Nur selten erhebt sich die Frage, was er uns damit sagen will – vielmehr schreit er uns seine Botschaften direkt ins Gesicht.

Seine Themen waren (unter anderem):

* Wie geht die Gesellschaft mit ihren Rändern (also ihren Minderheiten) um?

* Krieg und Massenmedien

* Die Auswirkung von Religionen auf die Menschen und die Gesellschaft.

* Ausbeutung, Frauenhass und Rassismus

Die Materialien für seine Installationen fand Kienholz auf Schrottplätzen, in Abbruchhäusern und auf Müllhalden.

Bereits an der Kasse wird der Besucher darauf aufmerksam gemacht, dass die Kunstwerke religiöse oder sittliche Gefühle verletzen könnten (was der Künstler ja durchaus beabsichtigt hat), umso mehr haben mich die vielen Kinder und die Kinderführung in der Ausstellung irritiert. Es ist sicher nicht falsch, Kindern Kunst nahe zu bringen, aber ich weiß nicht, ob ich mir dafür diese Ausstellung ausgesucht hätte – ich würde auch keinem Kind „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Hannibal rising“ zumuten.

Genau diese Direktheit, zum Teil sogar pornografische Darstellung, macht mir eine Beschreibung schwer. Ich versuche es dennoch.

„The Pool Hall“ aus dem Jahr 1993 zeigt zwei maskierte Männer beim Billiardspiel. Sie tragen Geweihe auf dem Kopf, eines der Löcher im Billiardtisch befindet sich zwischen den gespreizten Beinen eines weiblichen Unterleibs. Mit der gleichen Botschaft entstand sehr viel früher, nämlich 1980, „The bronze Pinball machine with woman affixed also“ – ein Flipperautomat, bei dem der Spieler zwischen gespreizten Frauenbeinen steht.

Sex als Freizeitunterhaltung, käuflich und jederzeit verfügbar?!

„The Commercial # 2“ zeigt ein Wohnzimmer im biederen Dekor der 70er Jahre mit einem Fernsehapparat. Quer über dem Gerät liest man „Legalize Abortions“ („Legalisiert Abtreibung). Das Werk entstand in den Jahren 1971 bis 1973 – zu einer Zeit also, in der Abtreibungen noch strikt verboten waren.

Wie viele Frauen sind auf den Küchentischen der sogenannten „Engelmacher“ verblutet ? Wie viele wurden Opfer der Prüderie und Bigotterie ihrer Zeit, Opfer von Religionen, die ihre Macht bis in die Schlafzimmer hinein ausüben, Opfer – wieder einmal? Mittlerweile ist der Druck christlicher Fundamentalisten in den USA so stark, dass es kaum noch ÄrztInnen gibt, die Abtreibungen vornehmen können – und noch viel weniger, die es sich trauen.

Bereits 1966 entstand „The State Hospital“, eine Anklage gegen die Psychatrie, die Kienholz in seiner beruflichen Laufbahn kennen gelernt hatte. Der Besucher blickt durch ein kleines, vergittertes Fenster in einen Raum, in dem zwei Gestalten auf einem Etagenbett liegen; auf dem Boden steht eine schmutzige Bettpfanne.

Die Psychiatrie als Verwahranstalt. Die Insassen sind von der Welt abgetrennt, sie können die „Normalen“ nicht mehr stören. So dürfte Kienholz diese Einrichtungen kennen gelernt haben – verbunden mit der Hoffnung, dass sich in den letzten fünfzig Jahren etwas getan hat und Behandlung und Therapie Vorrang vor der Verwahrung hat.

Eine der spannendsten Installationen ist „The Jesus Corner“ aus dem Jahr 1984.

In einem Schaufenster in Spokane/Washington sahen sie eine Zusammenstellung religiöser Dinge, die der Ex-Boxer und nach einem Sportunfall als Nachwächter arbeitende Roland Thurman kreiert hatte.
Kienholz sagte darüber, dass er und seine Frau diesen Glauben zwar nicht teilten, dennoch könnte die Welt viele Thurmans besser gebrauchen als die Bigotten, die jede Woche in der Kirche beteten.

Den größten Raum nimmt „The Ozymandian Parade“ aus dem Jahr 1985 ein.
In Form eines Narrenschiffs sieht man eine Militärparade, angeführt von Generälen, die auf den Bäuchen ihrer Pferde reiten, einer Menge Kriegsspielzeugen, einem General, der auf dem Rücken einer „Nicht-Steuerzahlerin“ sitzt und ihr einen Orden vor das Gesicht hält, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Das Volk, das den Rand säumt, ist klein, seiner Bedeutung angemessen.

Ausgangspunkt für die Installation war eine Umfrage in den Vereinigten Staaten, ob die Menschen mit ihrer Regierung zufrieden seien. Die überwiegende Zahl der Befragten antwortete mit „No“, weshalb die Generäle Binden mit dem Aufdruck „No“ über ihren Gesichtern tragen.

Die Gallionsfigur dieses surrealistischen Narrenschiffs ist eine Justitia, die zwar ihre Binde noch trägt, der die Waage jedoch schon lange aus der Hand geglitten ist.

Umrahmt wird die Installation von Glühbirnen in den Farben des Landes, in dem die Installation gerade gezeigt wird – hier also Schwarz-Rot-Gold.

1985 war die Zeit des kalten Krieges – auch wenn sich die politischen Ereignisse der kommenden Jahre bereits abzeichneten. Der ehemalige Schauspieler Ronald Reagan war Präsident der USA und beseelt von der Idee atomarer Abschreckung zu Lande, zu Wasser und auch im Weltraum.
Europa – und vor allem Deutschland an der Trennlinie zwischen den beiden Blöcken – wurde zum Spielball der Supermächte.

Auch wenn sich seither einiges verändert hat – Kriege werden immer noch geführt. Sie sind Instrumente der Politik und der Wirtschaft, werden von Ideologien und Religionen gerechtfertigt, dienen zur Sicherung der Rohstoffquellen für die Industriestaaten.

Kienholz ging es nicht darum, ein bestimmtes Land oder ein bestimmtes System an den Pranger zu stellen, sondern um die Bedeutung kriegerischer Handlungen für Politik und Wirtschaft – und die Machtlosigkeit der Menschen, die als SteuerzahlerInnen das Ganze finanzieren müssen.

Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit – ihr folgen Gerechtigkeit, Toleranz und politische Legitimation.

„Irgendwann verschwinde ich als der, der die Spur gelegt hat. Dann ist der Betrachter in der Klemme, was die Ideen und die Orientierung angeht. Er hat die Möglichkeit, weiter zu gehen, indem er Fragen stellt und Antworten findet, hin zu einem Ort, den ich mir nicht einmal vorstellen kann. Er kann aber auch umkehren, an den alten sicheren Platz, von dem er kam. Beides ist immerhin eine Entscheidung.“
(Edward Kienholz)

Quellen:
http://en.wikipedia.org/wiki/Edward_Kienholz
http://www.schirn.de/ausstellungen/2011/kienholz/kienholz-ausstellung.html
http://www.schirn-magazin.de/kontext/kienholz-jesus-corner-readymade/
http://www.schirn-magazin.de/kontext/kienholz-werk-themen-politik-gesellschaft/
http://www.schirn-magazin.de/kontext/die-macht-der-medien/
http://www.schirn-magazin.de/kontext/ed-kienholz-five-car-stud-rassismus/