Und wer sich seelisch reinigen will, der gehe in die nächste Sauna, statt in die Kirche nebenan! Denn in der Unschuld haben sich stets die dreckigsten Hände gewaschen.
(Walter Mehring: Gebrauchsanweisung in Großes Katzenbrevier, 1974)
Der amerikanische Installationskünstler Edward Kienholz wurde am 23. Oktober 1927 in Fairfield/Washington geboren.
Er wuchs auf einer Farm auf und hatte nach seinem Studium zunächst einige Jobs (darunter Nachtwächter in einer psychatrischen Klinik, Manager einer Band, Gebrauchtwagenverkäufer und Staubsaugervertreter).
In den 60er Jahren schließlich fand er zur Kunst. Ab 1972 arbeitete er gemeinsam mit seiner Frau, Nancy Kienholz Redding.
Die Frankfurter Kunsthalle Schirn widmet diesem Künstler (oder vielmehr: diesen Künstlern, denn Nancy steht gleichberechtigt neben ihrem Mann), der im Ausland eine größere Beachtung als in den USA fand, eine Ausstellung.
Wahrscheinlich liegt es an Kienholz unkonventionellem Werdegang, dass er sehr bodenständig und direkt ist. Nur selten erhebt sich die Frage, was er uns damit sagen will vielmehr schreit er uns seine Botschaften direkt ins Gesicht.
Seine Themen waren (unter anderem):
* Wie geht die Gesellschaft mit ihren Rändern (also ihren Minderheiten) um?
* Krieg und Massenmedien
* Die Auswirkung von Religionen auf die Menschen und die Gesellschaft.
* Ausbeutung, Frauenhass und Rassismus
Die Materialien für seine Installationen fand Kienholz auf Schrottplätzen, in Abbruchhäusern und auf Müllhalden.
Bereits an der Kasse wird der Besucher darauf aufmerksam gemacht, dass die Kunstwerke religiöse oder sittliche Gefühle verletzen könnten (was der Künstler ja durchaus beabsichtigt hat), umso mehr haben mich die vielen Kinder und die Kinderführung in der Ausstellung irritiert. Es ist sicher nicht falsch, Kindern Kunst nahe zu bringen, aber ich weiß nicht, ob ich mir dafür diese Ausstellung ausgesucht hätte ich würde auch keinem Kind Das Schweigen der Lämmer oder Hannibal rising zumuten.
Genau diese Direktheit, zum Teil sogar pornografische Darstellung, macht mir eine Beschreibung schwer. Ich versuche es dennoch.
The Pool Hall aus dem Jahr 1993 zeigt zwei maskierte Männer beim Billiardspiel. Sie tragen Geweihe auf dem Kopf, eines der Löcher im Billiardtisch befindet sich zwischen den gespreizten Beinen eines weiblichen Unterleibs. Mit der gleichen Botschaft entstand sehr viel früher, nämlich 1980, The bronze Pinball machine with woman affixed also ein Flipperautomat, bei dem der Spieler zwischen gespreizten Frauenbeinen steht.
Sex als Freizeitunterhaltung, käuflich und jederzeit verfügbar?!
The Commercial # 2 zeigt ein Wohnzimmer im biederen Dekor der 70er Jahre mit einem Fernsehapparat. Quer über dem Gerät liest man Legalize Abortions (Legalisiert Abtreibung). Das Werk entstand in den Jahren 1971 bis 1973 zu einer Zeit also, in der Abtreibungen noch strikt verboten waren.
Wie viele Frauen sind auf den Küchentischen der sogenannten Engelmacher verblutet ? Wie viele wurden Opfer der Prüderie und Bigotterie ihrer Zeit, Opfer von Religionen, die ihre Macht bis in die Schlafzimmer hinein ausüben, Opfer wieder einmal? Mittlerweile ist der Druck christlicher Fundamentalisten in den USA so stark, dass es kaum noch ÄrztInnen gibt, die Abtreibungen vornehmen können und noch viel weniger, die es sich trauen.
Bereits 1966 entstand The State Hospital, eine Anklage gegen die Psychatrie, die Kienholz in seiner beruflichen Laufbahn kennen gelernt hatte. Der Besucher blickt durch ein kleines, vergittertes Fenster in einen Raum, in dem zwei Gestalten auf einem Etagenbett liegen; auf dem Boden steht eine schmutzige Bettpfanne.
Die Psychiatrie als Verwahranstalt. Die Insassen sind von der Welt abgetrennt, sie können die Normalen nicht mehr stören. So dürfte Kienholz diese Einrichtungen kennen gelernt haben verbunden mit der Hoffnung, dass sich in den letzten fünfzig Jahren etwas getan hat und Behandlung und Therapie Vorrang vor der Verwahrung hat.
Eine der spannendsten Installationen ist The Jesus Corner aus dem Jahr 1984.
In einem Schaufenster in Spokane/Washington sahen sie eine Zusammenstellung religiöser Dinge, die der Ex-Boxer und nach einem Sportunfall als Nachwächter arbeitende Roland Thurman kreiert hatte.
Kienholz sagte darüber, dass er und seine Frau diesen Glauben zwar nicht teilten, dennoch könnte die Welt viele Thurmans besser gebrauchen als die Bigotten, die jede Woche in der Kirche beteten.
Den größten Raum nimmt The Ozymandian Parade aus dem Jahr 1985 ein.
In Form eines Narrenschiffs sieht man eine Militärparade, angeführt von Generälen, die auf den Bäuchen ihrer Pferde reiten, einer Menge Kriegsspielzeugen, einem General, der auf dem Rücken einer Nicht-Steuerzahlerin sitzt und ihr einen Orden vor das Gesicht hält, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Das Volk, das den Rand säumt, ist klein, seiner Bedeutung angemessen.
Ausgangspunkt für die Installation war eine Umfrage in den Vereinigten Staaten, ob die Menschen mit ihrer Regierung zufrieden seien. Die überwiegende Zahl der Befragten antwortete mit No, weshalb die Generäle Binden mit dem Aufdruck No über ihren Gesichtern tragen.
Die Gallionsfigur dieses surrealistischen Narrenschiffs ist eine Justitia, die zwar ihre Binde noch trägt, der die Waage jedoch schon lange aus der Hand geglitten ist.
Umrahmt wird die Installation von Glühbirnen in den Farben des Landes, in dem die Installation gerade gezeigt wird hier also Schwarz-Rot-Gold.
1985 war die Zeit des kalten Krieges auch wenn sich die politischen Ereignisse der kommenden Jahre bereits abzeichneten. Der ehemalige Schauspieler Ronald Reagan war Präsident der USA und beseelt von der Idee atomarer Abschreckung zu Lande, zu Wasser und auch im Weltraum.
Europa und vor allem Deutschland an der Trennlinie zwischen den beiden Blöcken wurde zum Spielball der Supermächte.
Auch wenn sich seither einiges verändert hat Kriege werden immer noch geführt. Sie sind Instrumente der Politik und der Wirtschaft, werden von Ideologien und Religionen gerechtfertigt, dienen zur Sicherung der Rohstoffquellen für die Industriestaaten.
Kienholz ging es nicht darum, ein bestimmtes Land oder ein bestimmtes System an den Pranger zu stellen, sondern um die Bedeutung kriegerischer Handlungen für Politik und Wirtschaft und die Machtlosigkeit der Menschen, die als SteuerzahlerInnen das Ganze finanzieren müssen.
Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit ihr folgen Gerechtigkeit, Toleranz und politische Legitimation.
Irgendwann verschwinde ich als der, der die Spur gelegt hat. Dann ist der Betrachter in der Klemme, was die Ideen und die Orientierung angeht. Er hat die Möglichkeit, weiter zu gehen, indem er Fragen stellt und Antworten findet, hin zu einem Ort, den ich mir nicht einmal vorstellen kann. Er kann aber auch umkehren, an den alten sicheren Platz, von dem er kam. Beides ist immerhin eine Entscheidung.
(Edward Kienholz)
Quellen:
http://en.wikipedia.org/wiki/Edward_Kienholz
http://www.schirn.de/ausstellungen/2011/kienholz/kienholz-ausstellung.html
http://www.schirn-magazin.de/kontext/kienholz-jesus-corner-readymade/
http://www.schirn-magazin.de/kontext/kienholz-werk-themen-politik-gesellschaft/
http://www.schirn-magazin.de/kontext/die-macht-der-medien/
http://www.schirn-magazin.de/kontext/ed-kienholz-five-car-stud-rassismus/