Der (hoffentlich) letzte Teil meiner Miniserie über das Leben mit Einschränkungen.
Mittlerweile sind fast fünf Monate seit meinem Unfall vergangen.
Ich laufe wieder, allerdings sehr langsam. Draußen brauche ich immer noch eine Krücke, drinnen kann ich auch so laufen. Treppen hochlaufen funktioniert sehr gut, Treppen hinunterlaufen leider noch nicht. Der Fuß schmerzt immer noch bei bestimmten Bewegungen. Und das Rolltreppe fahren habe ich dank der Hilfe meines Freundes auch wieder gelernt. Das ist auch notwendig. Der RMV hat zwar viel Geld investiert, um die Stationen behindertengerecht zu gestalten, aber leider siegt allzu oft der Zerstörungswahn meiner Mitmenschen. Die Aufzüge sind außer Betrieb.
Im Großen und Ganzen bin ich immer noch überwältigt von der Hilfsbereitschaft meiner Mitmenschen. Selbst im vollsten öffentlichen Verkehrsmittel bekomme ich einen Sitzplatz angeboten – wofür ich dankbar bin, weil längeres Stehen schmerzt und den Fuß stark anschwellen lässt.
Leider habe ich auch schlechte Erfahrungen machen müssen, die letzte erst vor knapp einer Woche. Und um es gleich zu sagen: es sind nie pauschale Urteile. Auf einen, der sich daneben benimmt, kommen zehn, die es nicht tun. Grundsätzlich kann ich sagen, dass mich die gleichen Dinge ärgern, die mir im gesunden Zustand auch missfallen. Aber was für einen gesunden Menschen ein Ärgernis ist, ist für einen behinderten Menschen gefährlich. An einigen Stellen würde ich entsprechende Gesetze befürworten – auf den gesunden Menschenverstand kann man sich leider nicht bei jedem Zeitgenossen verlassen.
Erstaunlicherweise waren die Autofahrer nur selten ein Grund zum Ärger. Letztlich fahren sie auf der Straße, ich bin auf dem Bürgersteig. Niemand war ungeduldig, wenn ich langsam über einen Zebrastreifen humpelte. Niemand war ungeduldig, wenn ich zum Einsteigen in mein Auto eben etwas länger brauchte und der andere sich schon über den Parkplatz freute.
Eines möchte ich jedoch meinen autofahrenden Mitmenschen (und mir selbst) mit auf den Weg geben: wo der Bürgersteig abgesenkt ist, darf NICHT geparkt werden. Nicht lang, nicht kurz, gar nicht. Einen Rollstuhl über eine Bordsteinkante zu wuchten, weil jemand den abgesenkten Teil zugeparkt hat, ist nicht wirklich lustig. Gleiches dürften wohl Eltern mit Kinderwagen oder ältere Menschen mit Rollator sagen.
Wesentlich nerviger sind (manche) Fahrradfahrer.
Grundsätzlich bin ich nicht päpstlicher als der Papst. Wer die Auswahl zwischen einer stark befahrenen Straße und dem Gehweg hat, dem missgönne ich den Gehweg nicht. Ich habe auch kein Problem, wenn Radfahrer durch die Fußgängerzone fahren. Kinder unter acht Jahren und ihre Begleitpersonen müssen sogar den Gehweg benutzen.
Jetzt kommt das Aber: die Straßenverkehrsordnung (STVO) sagt klar und eindeutig, dass Fußgänger auf Gehwegen Vorrang vor allen anderen Verkehrsteilnehmern haben. Ein Radfahrer, der an einem Fußgänger nicht vorbei kommt, muss eben bremsen und absteigen. Das gilt auch für die oben erwähnten Kinder und ihre Begleiter.
Wer durch eine Stadt fährt oder geht, könnte denken, dass – allen Kochshows zum Trotz – Kochen out und Liefern-lassen in ist. Die Lieferhelden aller Couleur flitzen durch die Straßen, über rote Ampeln, Gehwege, Fußgängerzonen als gäbe es kein Morgen. Ich habe schon einmal spöttisch bemerkt, dass die Jungs und Mädels doch auf ihre Warmhalteboxen schreiben sollen, was drin ist. Dann könnte man besser entscheiden, ob man in die Eisen geht oder einen Crash riskiert.
Radfahrer fordern von Autofahrern einen Mindestabstand von 1,5 Metern. Es wäre sicher schön, wenn sie mit gutem Beispiel voran gehen und zu den Fußgängern einen Mindestabstand einhalten würden. Wenn der Fußgänger erschrickt und dem Radfahrer die Krücke zwischen die Speichen gerät, gibt es einen neuen Teilzeitbehinderten.
Was mich zu einer besonderen Spezies bringt: den Smombies. Dieses Wort bezeichnet Menschen, die permanent auf ihr Smartphone starren statt sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Zum Glück habe ich eine laute Stimme und kann einen Smombie warnen. Das schnelle Ausweichen gelingt mir noch nicht stolperfrei.
Ja, ich habe ein Smartphone.
Wenn ich unterwegs bin, ist es sicher in meinem Rucksack verstaut. Nur wenn ich eine Wartezeit überbrücken muss oder telefoniere, nehme ich es raus. Und wenn ich im Auto sitze, gehe ich erst gar nicht ran. Nichts ist so eilig, dass es nicht einige Minuten später noch eiliger wäre. Die meisten Gespräche (auch die meinen) drehen sich ohnehin um Dinge, die nicht lebenswichtig sind.
Die Menschen, die mich in gesundem wie in krankem Zustand am meisten Nerven kosten, sind Hundehalter. Damit bin ich bei meiner schlechten Erfahrung in der letzten Woche. Ich humpelte von der Chorprobe nach Hause als ich merkte, dass etwas an meinem Bein war. Das Etwas stellte sich als Trethupe heraus, der mir unbedingt zwischen die Beine laufen wollte. Dank meiner Krücke konnte ich mich gerade noch so auf den Beinen halten. Die dazugehörige Hundehalterin telefonierte leidenschaftlich und schien die Leine für so eine Art Modeaccessoir zu halten. Erst als ich rabiat damit drohte, den Hund mit der Krücke zu schlagen, fühlte sie sich genötigt, etwas zu unternehmen. Sie rief den Hund, den das gar nicht interessierte. Als ich dann anfing, mit der Krücke um mich zu schlagen, begriff sie wohl endlich den Ernst der Lage und leinte ihren Hund an. Ich tröste mich damit, dass der Hund vielleicht auch mal ihr zwischen die Beine läuft und sie zu Fall bringt. Eine Teilzeitbehinderte mehr.
Wie oft wir mit dem Rollstuhl Tretminenslalom gelaufen sind, kann ich nicht zählen. Obwohl es alle paar Meter Tütenspender gibt, machen nur wenige den Kot ihres Lieblings weg.
Ich kenne viele Leute, die Tiere halten – von der Vogelspinne bis zum Papagei. Aber niemand käme ernsthaft auf die Idee, eine Katze mit zum Shoppen zu nehmen oder seine Hamster in den Baumarkt. Warum ausgerechnet Hundehalter ihre Tiere überall hin mitschleppen müssen, erschließt sich mir nicht. Zumal das auch für die Tiere Stress ist.
Liebe Hundehalter(innen): leint Eure Tiere kurz an, wenn Ihr Euer Haus oder Eure Wohnung verlasst. Es gibt viele Möglichkeiten, Hunde toben und spielen zu lassen, auch in der Großstadt. Nutzt sie einfach. Im Wald müssen Hunde übrigens zwischen März und Oktober angeleint werden. Es ist Brut- und Setzzeit für die Waldtiere. Und auch die Landwirtschaft freut sich, wenn Hundehalter Disziplin üben. Schließlich bauen sie Lebensmittel an, die später gegessen werden sollen.
Bitte beseitigt Hundekot sofort, auch wenn sich der Liebling auf einer Wiese erleichtert hat. Die Ekelschwelle Eurer Mitmenschen ist niedriger als Ihr glaubt.
Lasst Euren Hund zu Hause, wenn Ihr einkaufen geht. Gönnt Euren Mitmenschen ein ebenso schönes Freizeiterlebnis wie Ihr es Euch für Euch selbst wünscht.
Wie ich eingangs schon sagte: ich gehe mit sehr viel offeneren Augen durch die Welt. Und mittlerweile spreche ich auch mit Menschen, die hilfebedürftig aussehen oder vielleicht einfach nur sympathisch.
Natürlich war es nervig, nichts machen zu können und auf Hilfe angewiesen zu sein. Ein paar Mal war ich kurz davor, wieder in die Depression abzurutschen. Trotzdem war diese Zeit wichtig für mich. Ich habe viel gelernt. Und die Beziehung zu meinem Freund ist so eng, dass wir schon so gut wie zusammen wohnen (unser beider Wohnungen sind zu klein) und eine Wohnung suchen, in der wir zusammen leben und glücklich sein können.
Wenn das Leben Dir eine Zitrone gibt, mache Dir eine Limonade daraus.